DIE ÖFFENTLICHEN ANGELGENHEITEN SIND SACHE DES VOLKES
Karl Albrecht Schachtschneider
Res publica res populi
Grundlegung einer Allgemeinen Republiklehre
Ein Beitrag zur Freiheit, Rechts und Staatslehre
Das Recht kann in einem Gemeinwesen, welches sich der Würde des Menschen verpflichtet hat, nur auf Freiheit gründen. Herrschaft ist seit der Aufklärung nicht mehr legitimierbar. Die Freiheit als das Recht auf Recht gebietet die Verfassung des Gemeinwesens zu einem Staat. Der Staat des Rechts ist die Republik. Die Freiheit ist allgemein. Sie verwirklicht sich in Gesetzen und in der Gesetzlichkeit. Die Verbindlichkeit der richtigen Gesetze, der Rechtsordnung, ist der Wille aller Bürger. Die Erkenntnis des Rechts ist ein der Legalität verpflichteter sittlicher Akt.
Die Erkenntnisweise ist die Moralität, die ihr Verfahren im kompetenten Diskurs findet. Das Gesetz der Moralität ist der kategorische Imperativ, das Sittengesetz. Der politische Diskurs ist allgemein, die verbindliche Erkenntnis des Rechts aber ist Sache der Vertreter des Volkes in den Organen der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtssprechung. Die Abgeordneten, die Beamten und die Richter vertreten das Volk in dessen Sittlichkeit und sind deshalb ausschließlich ihrem Gewissen verantwortlich.
Die Moralität der Amtswalter ist der Baustoff der Republik. Das höchstrangige Prinzip der Sittlichkeit ist die Rechtlichkeit. Ohne die Achtung des Sittengesetzes kann die res publica nicht res populi sein, aber die Sittlichkeit als die innere Freiheit setzt das Recht zur Willkür als die äußere Freiheit voraus. Diese politische Freiheit ist das Paradigma der Lehre von der Republik, Freiheitlichkeit, Rechtlichkeit und Staatlichkeit finden in dieser Lehre zur Identität. Jede Herrschaftlichkeit wird aus ihrer Dogmatik eliminiert.
Die republikanische Freiheits-, Rechts- und Staatslehre ist der antiken und der neuzeitlichen Aufklärung verpflichtet. Meine Lehrer der Republik sind Aristoteles, Cicero, Hobbes, Locke, Rousseau und vor allem Kant. Auf eine Auseinandersetzung mit Platon, Hegel oder gar Marx, die Popper Feinde der offenen Gesellschaft genannt hat, habe ich mich nicht eingelassen. Meine republikanische Dogmatik beansprucht nicht die Republiklehre zu sein, die Kant unter dem Grundgesetz entworfen hätte; aber das Grundgesetz ist als Verfassung einer Republik kantianisch.
Die Verfassungslehre jedoch hat, abgesehen von Werner Maihofer und in gewisser Weise Herbert Krüger, erst vor weniger als einem Jahrzent (erneut) begonnen, dem Kantianismus des Grundgesetzes Folge zu leisten. Der Paradigmenwechsel vom Liberalismus zum Republikanismus ist im Gange. Noch dominiert die liberalistische Lehre von den Freiheiten, die Staat und Gesellschaft trennt und konsequent den Staat und das Recht herrschaftlich konzipiert. Deren Dogmatik ist dem 19. Jahrhundert, der Restauration, und nicht, wie der echte Republikanismus, dem 18. Jahrhundert, der Revolution, verpflichtet. Die politischen Texte in Deutschland , in Europa und in der Welt folgen dem Ideal der französischen Revolution, der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Die liberalistische Lehre jedoch hat die Politik der Texte nicht erreicht. Sie müsste sonst die Republikwidrigkeit des Parteienstaates offenbaren. Der Parteienstaat ist die typische Verfallsform der Republik.
Dekuvrierend für die Verfassungsferne der Parteienstaatslehre ist es, dass das republikanische Gewissensprinzip verhöhnt und das „Sittengesetz“, obwohl es doch die grundgesetzliche Freiheit bestimmt, aus der Dogmatik ausgeblendet wird. Die wurmstichige Frucht der republikwidrigen Freiheitslehre ist der Vorschlag, durch einen Art. 2 a GG die Bürger dem „Gemeinsinn und der Mitmenschlichkeit“ zu verpflichten, als wenn das Sittengesetz in Art. 2 Abs. 1 GG nicht seit 1949 die grundgesetzliche Freiheit durch den kategorischen Imperativ definiert hätte.
Der Republikanismus ist wegen seines Prinzips der Moralität notwendig imperativisch. Er kann sich mit der aller Erfahrung nach immer mehr oder weniger illegalen Wirklichkeit niemals identifizieren. Dieses Dilemma ist sein Wesen, welches aus der ihm zugrunde liegenden Anthropologie vom ungeselligen Geselligen, aus der Dichotomie des homo noumenon und des homo phainomenon folgt. Die republikanische Freiheits-, Rechts- und Staatslehre entwickelt die Institutionen der Sittlichkeit, der praktischen Vernunft also, um ein gutes Leben aller in allgemeiner Freiheit zu ermöglichen. Ständig muss der Republikanismus dem Missbrauch seiner Institutionen aus Herrschsucht, Habsucht und Ehrsucht entgegenwirken. Das 20. Jahrhundert hat die parteilichen Parteien institutionalisiert. Vor allem diese Fehlentwicklung ist um der Republik willen zu korrigieren. Niemals wird, weil der Mensch aus allzu krummen Holze ist, das Werk des Republikanismus, die wirkliche allgemeine Freiheit, vollendet sein.
Diese Einsicht rechtfertigt durch nichts, dass die einen die anderen beherrschen, ausnützen, verachten. Republikanität ist ihrem innersten Prinzip, dem kategorischen Imperativ, oder, was dasselbe ist, dem christlichen Gebot der Nächstenliebe gemäß ständig herausfordernde Pflicht. Eine Lehre vom Recht darf nicht zu einer Empirie verflachen. Dadurch verlöre sie ihren Anspruch, die Menschheit zum Guten zu führen. Eine Rechtslehre ist dem Fortschritt zur allgemeinen Freiheit verpflichtet. Sonst würde sie lediglich Besitzstände konservieren und den Verfall des Gemeinwesens befördern. Im republikanischen Sozialprinzip ist die Hoffnung auf den Fortschritt zur allgemeinen Freiheit inbegriffen. Das Prinzip der Brüderlichkeit wahrt darin seine Einheit mit den Prinzipien der Freiheit und der Gleichheit.
Eine Lehre, welche auf dem republikanischen Freiheitsbegriff des Grundgesetzes aufbaut, muss alle Institutionen der Verfassung neu dogmatisieren. Die liberalistische Lehre konnte eingeübte Begriffe tradieren, ja die Dogmatik des Staatsrechts hat das herrschaftliche Paradigma wesentlich gestützt. Das zeigt etwa der Liberalismus der Grundrechtsdogmatik. Er hat nicht nur die schon überwunden geglaubte Unterscheidung von Staat und Gesellschaft wiederbelebt, sondern ist die Grundlage der Herrschaftsideologie der Staatsrechtslehre und trägt zugleich die Ideologie von der Notwendigkeit der herrschaftlichen parteilichen Parteien. Diese Lehre verteidigt nach wie vor einen Untertanen gegen eine Obrigkeit, obwohl die politische Freiheit aller Bürger die Verfassungen Deutschlands von 1919 und 1949 bestimmt. Der eigentliche Politiker einer Republik, der Bürger, ist denn auch bis heute nicht dogmatisiert worden. Er passt nicht in die Herrschaftsideologie. Das großangelegte Handbuch des Staatsrechts, welches Josef Isensee und Paul Kirchhof von 1987 bis 1992 herausgegeben haben, kennt den Bürger nicht. Es kennt Wähler und Grundrechtsträger, also doch nur konstitutionalistische Untertanen der heute parteienstaatlichen Obrigkeit. Wer jedoch den Bürger als Bürger versteht, muss die Freiheit wie das Grundgesetz durch das Sittengesetz definieren. Die bürgerliche Rechtslehre kann nur von dem Satz: res publice res populi, ausgehen; denn alle Staatsgewalt geht vom Volk aus und wird vom Volke oder vertretungsweise von dessen Organen ausgeübt (Art. 20 Abs. 2 GG).